Vor ein paar Wochen starb ein mir nahestehender Mensch. Das war sehr traurig. Dennoch war der Abschied schön und genauso, wie dieser Mensch es sich gewünscht hatte. Aber es bleibt die Frage, wie geht es jetzt weiter?
Denn die Anforderungen des Alltags gehen weiter. Der Briefkasten und das Email Postfach sind weiter voll mit Briefen und Nachrichten, die auf Antwort warten. Nachrichten und Menschen, die etwas von mir wollen. Ich öffne mechanisch die Briefe und lege den Inhalt dann wieder beiseite. „Jetzt nicht“, denke ich.
Ich schaue in mein Email Postfach und klicke halbherzig auf ungelesene Nachrichten. Oft weiß ich nicht, was ich antworten soll. Ich weiß nicht, was die Person am anderen Ende von mir will. Es kommt mir alle so banal vor. Manchmal bin ich wütend. Manchmal traurig.
Ganz oft sage ich Termine ab, weil ich einfach nicht kann. Ich kann nicht denken, ich kann mich nicht fokussieren. Ich will nicht reden. Doch allein schon das Absagen geht mir auf die Nerven. Viel mehr das Begründen. „Es gab einen Todesfall in meinem privaten Umfeld“, höre ich mich sagen. Ganz oft bin ich genervt von den Reaktionen. Betretenes Schweigen. Ein gestammeltes: „Oh, mein Beileid“. „Behalt Dein Beileid“, denke ich. Dann schäme ich mich, dass ich so garstige Gedanken habe. Ich darf das nicht denken. Aber ich kann nichts machen. Ich will kein Beileid. Ich will, dass dieser geliebte Mensch wieder da ist. Ein Wunsch, der unerfüllt bleibt. Also höre ich mir stumm Beileidsbekundungen an, die sich manchmal okay und manchmal scheiße anfühlen.
Im Grunde will ich niemandem von meiner Situation erzählen und dann wieder allen. Wenn alle Bescheid wissen, muss ich mich nicht mehr erklären. Ich habe meine Ruhe. Viele melden sich auch nicht mehr, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen und von der Situation irgendwie überwältigter sind, als ich selbst. Eine Freundin ist sehr mitfühlend und findet stets die richtigen Worte. Sie hat selbst ein Trauerjahr hinter sich.
Ich fühle mich, wie gefangen in einer riesigen Maschinerie und alle wollen etwas von mir. Eines Tages kommt ein Schreiben, dass sich mit dem Versterben überschnitten hat und es sich liest, als ob der geliebte Mensch noch am Leben wäre. Ich fange an zu weinen. Ich zerreiße den Brief. „Das ist jetzt auch egal“, sage ich laut. Im nächsten Moment kann ich nicht fassen, dass ich diesen Brief erhalten habe. „Was fällt denen ein?! Was sind das für herzlose Leute“, rege ich mich auf. Anschließend sitze ich weinend im Sessel und fühle mich schlecht. So gehen die Tage und Wochen vorüber.
Irgendwann steht der erste Geburtstag an - ohne das Geburtstagskind. Der erste nach dem Tod. Ein komisches Gefühl. Wie feiert man den Geburtstag einer Person, die nicht mehr lebt? Feiert man das überhaupt noch, frage ich mich? Es ist ja auch der GEBURTS-Tag. Das fühlt sich alles komisch an. Die Familie, die zusammen kommt, ist in meiner Trauer keine Hilfe. Es wird über Belangloses gesprochen. Das nervt mich. Ich denke: „Leute, könnt ihr euch ein wenig zusammen nehmen?“. Doch jeder geht anders mit diesem Ereignis um, das weiß ich. Manche Familienmitglieder wollen einfach lang und breit über das zu zähe Schnitzel meckern. "Das ist es seit dem Tod noch viel schlimmer geworden, das Meckern", sinniere ich innerlich.
Als wir zum Friedhof fahren werden die belanglosen Alltagsgeschichten noch weiter ausgeführt. Ich höre nicht hin. Ich schaue zum Fenster raus. Am Grab geht das Geschnatter weiter. Ich kann es nicht fassen. „Wollen wir nicht einfach ein wenig still sein?!“, rufe ich innerlich. Stille ist für viele Menschen überhaupt nicht auszuhalten. Die Worte fallen wie überreife Früchte im stetigen Strom aus ihrem Mund. Plumps. Plumps. Ich fühle mich mit meiner Trauer alleine, obwohl ich von anderen Menschen umgeben bin.
Auch in meinem Alltag fühle ich mich alleine - obschon auch hier Menschen um mich sind. Ich weiß gar nicht, ob ich das gut oder schlecht finde. „Mal so, mal so“, denke ich. Manchmal habe ich Angst auf mein Handy zu schauen, weil da wieder Nachrichten sind, die auf Antwort warten. Ich will mich nicht ständig erklären, dass ich gerade einfach nicht kann. Dass das Leben mich überfordert. Dass ich einfach nur im Bett liegen bleiben will und mir die Decke über den Kopf ziehen will. Ich will niemanden sehen und mit niemandem sprechen. Eine Stunde später telefoniere ich weinend mit meiner Freundin, weil ich nun doch reden will. So ist das mit der Trauer. Unberechenbar. Facettenreich, wie das Leben selbst. „Vielleicht sollte ich mich einer Trauergruppe anschließen“, überlege ich. Vielleicht ist es meinen Freunden zu viel? Ich bin egoistisch und frage nicht nach.
Wenn ich einkaufen gehe, kann ich nicht fassen, dass das Leben für „die anderen“ einfach so weiter geht. Dass sie einen Alltag haben, wo alles normal ist. Das ist natürlich eine Sicht gefärbt durch die Trauer, die ich erlebe. Denn was weiß ich schon, was die anderen gerade erleben? „Vielleicht hat sie auch jemanden vor kurzem verloren“, überlege ich mir, als ich vor der Gemüsetheke stehe und eine ältere Damen neben mich tritt. Ich lächle ihr schief zu und gehe.
In einer Welt, die sich immer weiter dreht, ist für mich alles stehen geblieben.
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Text zu einem wahren Ereignis mit fiktiven Elementen.
Die "Playlist for the Hurting" mit christlichen Songs kann in solchen und anderen Krisenzeiten eine Unterstützung sein.
Foto: Unsplash, Ralf Skirr