„Vipassana light“ – Schweigen und meditieren in Europas größtem Ashram

Nach 7 Jahren bin ich zurück bei Yoga Vidya in Bad Meinberg. Dort hatte ich 2012 meine erste Yoga Ausbildung absolviert. Viel ist geschehen seitdem. Nicht nur in meinem Leben, sondern auch hier. Ich bin für ein mehrtägiges Schweige-Meditations-Retreat angemeldet. Wie das so war, im Vergleich zu den anderen, die ich bisher schon gemacht habe, erzähle ich Dir hier.

 

Über Yoga Vidya mag man sagen, was man will. Fest steht jedoch, dass der Ashram in Bad Meinberg zwischenzeitlich der größte Europas ist und laut Webseite der größte außerhalb Indiens. In jedem Fall beeindruckend.

 

In den Tagen „zwischen den Jahren“ habe ich mich für Rückzug und innere Einkehr für das Retreat angemeldet. Insgesamt 5 ganze Tage – 5 Stunden meditieren und 4 Stunden Yoga, jeden Tag. Hört sich viel an? Verglichen mit traditionellen Vipassana* Retreats immer noch die „Light-Version“, denn regulär sitzt man dort 8-10 Stunden 10 Tage lang.

 

Meditation war nicht immer mein Ding

 

Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht genau, warum ich mich für dieses Retreat angemeldet habe. Denn meine erste intensive, mehrstündige Meditationserfahrung war alles andere als wiederholenswert. Während meiner Yogaausbildung gab es Intensivtage und das mehrstündige Sitzen hat mich ganz kirre gemacht. Ich war unheimlich wütend. Wütend, dass ich das jetzt machen muss. Wütend, weil es anstrengend war, weil ich keinen Sinn darin sah. Ich habe mich einfach aufgeregt!

 

Seither sind viele Jahre vergangen und ich habe weitere Ausbildungen und Erfahrungen gemacht.  5 Stunden Meditation am Tag sind es aber nie geworden. Trotzdem haben Vipassana Retreats immer eine gewisse Faszination auf mich gehabt. Und voller Bewunderung habe ich Menschen zugehört, die eine solche Erfahrung schon gemacht haben.

 

Also, machte ich mich auf nach Bad Meinberg. Hatte ich mich die Wochen vorher so sehr auf meine Auszeit gefreut, hatte ich bei meiner Anreise doch irgendwie ein mulmiges Gefühl. Worauf hatte ich mich eingelassen?

  

Es geht los…

 

Am Tag meiner Anreise ging es abends mit einer kurzen Willkommensrunde los. Unser Kursleiter Jochen erzählte, wie das Retreat ablaufen und welche Tagesstruktur es geben würde. Er war mir sofort sympathisch; wirkte erfahren und vertrauenswürdig. Jede sollte in dieser kurzen Runde ein Wort nennen, was sie sich für das Retreat wünsche. Ich sagte, Erfahrung.

 

Vielleicht ist es ihm zu verdanken, dass ich mich so gut einlassen konnte. Ich hatte von Anfang keine Probleme mich an die vorgegeben Abläufe zu halten.

 

Um 6 Uhr morgens ging es los. 7 Uhr Satsang** und um 8 Uhr wieder Meditation. Danach die erste Yogastunde, anschließend die erste Mahlzeit. Nach einer Mittagspause ging es um 14:30 Uhr weiter, bis zur zweiten Yogastunde am Nachmittag. Daran schloss sich die zweite Mahlzeit des Tages an, gefolgt von Satsang und der Tagesabschlussmeditation. Auf jeden Fall ein straffes Programm.

 

Ich konnte mich aber gut einlassen und auch hingeben. Zur Meditation an sich gab es kaum Hinweise, wie es bei einem Vipassana üblich ist. Wir sollten unseren Atem beobachten. Nur diesen. Nicht kommentieren. Keine Gedanken. Die erhoffte Stille ist dann wohl zwischen den Gedanken.  

 

Mehr Fragen, als Antworten

 

Innere Einkehr und Ausrichtung für das kommende Jahr, hatte ich mir gewünscht. Ich hätte gerne ein paar Antworten mitgenommen. Zwischenzeitlich hatte ich jedoch mehr Fragen, als Antworten. Das kann ja aber auch erhellend sein.

 

Nach kurzer anfänglicher Verwirrung, ob des Nicht-Denken-Dürfens, gab ich mich einfach der Erfahrung hin. Was geschehen sollte, würde geschehen. Und so saß ich, mit den anderen, Tag ein, Tag aus. Die körperlichen Schmerzen vergehen nach einer Weile. Und mit zwei Yogastunden am Tag, hatten wir echt die Luxus Variante eines Vipassana Retreats.

 

Nach und nach stiegen innere Bilder in mir auf. Ganze Filme aus abstrakten Motiven, Farben, Formen, Tiergestalten, Naturbildern und Universen. Ein wenig wie auf Drogen. Ich habe es einfach geschehen lassen. Weniger gehadert, was ich darf und was nicht. Was richtig ist und was nicht. Schließlich war mein Wort in der Willkommensrunde: Erfahrung. Und die würde ich in jedem Fall machen. Wozu also kämpfen? Mit sich Ringen? Streng sein?

 

Schweigen im Kleinen und im Großen

 

Das Schweigen stand für mich dieses Mal nicht so sehr im Fokus. Denn nachdem ich nun schon mehrere Male auf Schweige Retreats (mit geringerem Meditationsanteil) war, muss ich sagen, dass ich hier für mich, nicht den idealen Ort gefunden habe. Es ist wie ein riesiger Bienenstock. An die 1.000 Gäste, ein Kommen und Gehen. Auch wenn es ein Ashram ist und es Speisesäle für Mahlzeiten im Schweigen gibt, lenkt die Masse an Eindrücken doch ab und lässt die Stille Erfahrung nicht so tief gehen.

 

Vor allem beim Essen, in einer Großküche mit täglich 3.000 Essen, geht es zu wie auf dem Alexanderplatz. Da war meine Schweigeerfahrung in einem christlichen Kloster mit einer Hand voll Nonnen und rund einem Dutzend Gästen, eine ganz andere. Die Atmosphäre lud viel eher zum Rückzug und zur Stille ein. Dort hatte ich eher das Gefühl von Auf-mich-Zurückgeworfen-Seins.

 

Nichtsdestotrotz ist es im Rahmen dieses Retreats sinnvoll zu schweigen und die Vipassana Erfahrung dadurch zu unterstützen. Letztlich ist es jeder selbst überlassen, ob sie schweigt oder nicht, zur Meditation kommt oder nicht, Musik hört, Bücher liest, Whats App Nachrichten schreibt oder telefoniert. Es gibt keine „Retreat-Polizei“. Alle sind freiwillig hier. Es gibt lediglich Empfehlungen.

 

Weniger urteilen, vergleichen – mehr Verständnis

 

Die 5 Tage vergingen relativ schnell. Irgendwie war ich froh, als es vorbei war, aber irgendwie auch nicht. Die Abschlussrunde mit dem Teilen der jeweiligen Erfahrungen, war für mich besonders erkenntnisreich. Was hatten die anderen erlebt? Wie erging es ihnen? Das alles wurde hier ausgesprochen.

 

Was nehme ich nun, neben der reinen Erfahrung, aus dem Retreat mit? Für mich ganz klar: Weniger urteilen, vergleichen und sich selbst erhöhen. Mehr Verständnis. Denn allzu oft hatte ich Gedanken wie: „Warum ist sie heute nicht bei der Abendmeditation? Sie hat wohl aufgegeben“. Oder „Wieso geht sie denn jetzt raus? Sie kann wohl nicht mehr. Ich schon“.

 

Mir wurde sehr deutlich bewusst, gerade durch das Teilen der anderen Erfahrungen, dass ich keine Ahnung von dem habe, was in anderer Leute Leben vor sich geht. Was physisch und psychisch ihre Praxis beeinflusst. Ich ertappte mich dabei, wie ich mich gedanklich selbst erhöhte, um mich dadurch besser zu fühlen. Das ist vielleicht menschlich, aber kein feiner Zug. Wenn ich daran etwas ändern möchte, steht da als erstes die Erkenntnis. Diese habe ich nun gewonnen.

 

In Sachen Verständnis hat unser Kursleiter so schön Johannes vom Kreuz zitiert: „Herz, worauf wartest Du? Lieben kannst Du sofort“. Daran will ich mich gerne erinnern.

 

 

 

Dieser Artikel ist auch auf dem Yoga Vidya Blog erschienen. 

 

Für die bessere Lesbarkeit verwende ich durchgängig die weibliche Form.

 

*Vipassana ist eine der ältesten Meditationsformen Indiens und bedeutet, die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind. (Quelle: dhamma.org)

** Satsang bezeichnet in der indischen Philosophie und in den daraus abgeleiteten spirituellen Lehren ein Zusammensein von Menschen, die durch gemeinsames Hören, Reden, Nachdenken und Versenkung in die Lehre nach der höchsten Einsicht streben. (Quelle: Wikipedia)

Titelfoto: Mike Labrum, Unsplash